Künstliche Intelligenz als Impulsgeber in der Organisationsentwicklung 

Krisen sind besondere Momente für Organisationen: Routinen greifen nicht mehr, Unsicherheit steigt, und die alltäglichen Steuerungsmechanismen stoßen an ihre Grenzen. Genau in diesen Situationen suchen Führungskräfte Orientierung, und Berater:innen werden zu Navigator:innen, die Räume schaffen, in denen konstruktive Lösungen entstehen können. 

 

In den letzten Monaten ist eine neue Dynamik hinzugekommen: Künstliche Intelligenz (KI). Viele Organisationen fragen sich: Kann KI uns in der Krise wirklich helfen? Oder ist sie nur ein weiterer Unsicherheitsfaktor? 

 

Für Berater:innen in der Organisationsentwicklung ergibt sich daraus eine doppelte Herausforderung: Wir müssen verstehen, wie KI auf Strukturen, Prozesse und Kommunikation wirkt, und gleichzeitig dürfen wir uns nicht vom Technikhype vereinnahmen lassen. Ziel ist es, Organisationen zu befähigen, souverän und reflektiert mit dieser Technologie umzugehen. 

 

KI als Reflexionspartner – nicht als Krisenmanager 

 

KI wird oft als Instrument der Effizienzsteigerung wahrgenommen: Sie automatisiert Aufgaben, analysiert Datenmengen und liefert in Sekunden Ergebnisse. In der Krise jedoch geht es nicht primär um Geschwindigkeit, sondern um Orientierung und Reflexion

 

  • Welche Fragen stellen wir wirklich? 
  • Welche Werte leiten uns in dieser Situation? 
  • Welche Perspektiven öffnen sich, wenn die gewohnten Routinen versagen? 

 

Hier kann KI eine ungewohnte, aber wertvolle Rolle einnehmen: Als Reflexionspartnerin. Sie kann Stimmungsbilder analysieren, Prozesse visualisieren oder mögliche Szenarien aufzeigen. Aber die entscheidenden Fragen – über Kultur, Kommunikation und Verantwortung – bleiben menschlich

 

Praxisbeispiel: Change-Prozess in der Krise 

 

Stellen sie sich eine Organisation bzw. ein mittelständisches Unternehmen vor, das durch einen plötzlichen Umsatzrückgang in eine existenzielle Krise gerät. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Leitung verunsichert sein, Mitarbeitende möglicherweise sogar verängstigt. Klassische Krisenkommunikation hilft nur begrenzt, wenn die Komplexität der Situation nicht linear abbildbar ist. 

 

Aktuell wird in einer solchen Situation mit ziemlicher Sicherheit nicht nur für Wirtschaftsdaten und Marktanalyse, sondern auch mit Blick auf die Mitarbeitenden ein KI-Tool eingesetzt, das anonymisierte Mitarbeitenden-Feedbacks analysiert und Stimmungsbilder visualisiert. Die ersten Ergebnisse könnten zeigten: 

 

  • Hohe Frustration in bestimmten Abteilungen, die bisher nicht sichtbar sind. 
  • Missverständnisse in der internen Kommunikation. 
  • Positive Energien und Innovationspotenziale in Teams, die man bisher unterschätzt hat. 

 

Sinnvoll eingesetzt ist KI dann nicht Entscheiderin, sondern Impulsgeberin für Gespräche. KI generierte Daten als Gesprächsgrundlage: 

 

  1. Offene Reflexion in der Leitung: Welche Muster sind erkennbar, welche Überraschungen gibt es? 
  2. Dialog mit Mitarbeitenden: Anhand der anonymisierten Ergebnisse können gezielt Gespräch und ein Austausch stattfinden, ohne Schuldige zu suchen. 
  3. Ableitung von Maßnahmen: Welche Veränderungen stärken die Organisation? Welche Signale senden sie nach außen? 

 

Die KI-Daten wird somit zum Katalysator für einen reflektierten Dialog – sie hilft, blinde Flecken sichtbar zu machen, ohne die menschliche Verantwortung zu ersetzen. 

  

Chancen und Zumutungen für die Beratungsarbeit 

 

Für Berater:innen bedeutet das zweierlei: 

 

Erweiterte Werkzeuge: 

KI kann Hypothesen prüfen, Szenarien entwickeln, Muster in Kommunikation und Zusammenarbeit erkennen. Gerade in Krisen ist diese „Frühdiagnose“ wertvoll. 

 

Erhöhte Verantwortung: 

Jede Analyse muss transparent erklärt werden. Teams und Führungskräfte müssen verstehen, dass Ergebnisse Impulse, keine Entscheidungen sind. Und Berater:innen müssen sich klar positionieren: Wir moderieren den Dialog, wir schaffen Reflexionsräume, wir übernehmen nicht die Deutungshoheit der KI

 

Gerade in unsicheren Zeiten benötigen Menschen Verlässlichkeit. Und genau hier entscheidet sich, ob KI in der Organisationsentwicklung Unterstützung oder zusätzliche Verunsicherung bringt. 

 

Konstruktiv gestalten statt reagieren 

  

Die eigentliche Aufgabe bleibt: Organisationen befähigen, ihre Krise nicht nur zu bewältigen, sondern an ihr zu wachsen. KI kann dabei ein Baustein sein – wenn sie konstruktiv eingebettet wird: 

 

  • Als Gesprächsanlass, nicht als Entscheidungsträger. 
  • Als Mustererkennung, nicht als Deutungshoheit. 
  • Als Brücke zwischen Komplexität und Handlungsfähigkeit. 

 

Unsere Rolle als Berater:innen ist klar: Wir schaffen Räume, in denen Führungskräfte und Teams verantwortlich und reflektiert mit neuen Technologien umgehen. Dabei geht es nicht um Angst oder blinden Technikeifer, sondern um professionelle Besonnenheit

 

Fazit: KI als Einladung zur reflektierten Beratung 

  

In einer Krise liefert keine Technologie die Lösung. Aber sie kann – richtig eingebettet – dazu beitragen, dass Organisationen Handlungsfähigkeit, Reflexion und Zusammenhalt stärken. Künstliche Intelligenz ist kein Ersatz für menschliches Urteilsvermögen, sondern ein Impulsgeber: Sie macht Strukturen und Muster sichtbar, öffnet Räume für Dialog und unterstützt uns darin, konstruktiv in der Krise zu handeln

 

Für uns Berater:innen heißt das: Haltung bewahren, Werkzeuge nutzen, Menschen befähigen. Und genau darin liegt die Chance: KI ist nicht die Lösung der Krise – aber sie kann Teil einer reflektierten, lernenden Organisationsentwicklung sein, die Krisen nicht nur übersteht, sondern aus ihnen wächst. 

Porträt Alexander Janka


Alexander Janka

Studienleitung Fachstelle Organisationsentwicklung