Seit Dezember 2024 ist Léandre Chevallier als Spezialvikar im IPOS tätig. Der 26-jährige Theologe aus Frankreich lebt seit sechs Jahren in Deutschland und nutzt die Zeit seines Spezialvikariats bis Mai 2025, um tief in verschiedene Themen der kirchlichen Beratung einzutauchen. Dabei beschäftigt er sich mit Fragen wie der Bedeutung von Beratung im Gemeindekontext, dem Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz sowie den Herausforderungen kirchlicher Strukturen.
Besonders interessiert ihn, was das Gelernte konkret für seinen eigenen Berufsweg und die Zukunft der Kirche bedeutet. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen, seine Entdeckungen im IPOS und seine Sicht auf eine Kirche im Wandel. Léandre Chevallier wird nach seinem Spezialvikariat eine Pfarrstelle in der Evangelischen Kirchengemeinde Schneidhain im Dekanat Kronberg antreten.

Du bist Franzose - Was ist dein französischer Blick auf Arbeit in Frankreich und in Deutschland?
Welche Unterschiede siehst du?
Es wäre nicht ehrlich von mir, eine Antwort für Arbeit generell zu geben, weil ich die Arbeitswelt nur im kirchlichen Kontext kenne. Der größte Unterschied ist, dass die Evangelische Kirche in Frankreich eine Minderheitskirche ist. Das hat große Konsequenzen auf die Kultur. Die Arbeit des Pfarrers ist ungefähr dieselbe, aber unter anderen Bedingungen. Wissen und Kompetenzen bleiben gleich, aber in Frankreich wird alles selbst organisiert, auch aus eigenen Mitteln, denn die Ressourcen sind zu knapp. Hier in Deutschland ist man aktuell dabei, diesen Weg langsam zu lernen, weil es bisher anders gewesen ist.
Für mich war es in Deutschland neu, zu beobachten, dass Kirche so viele Hauptamtliche hat in vielen Bereichen - Sekretärin, Pädagogen, Küster, Putzkräfte. Dass das alles von der Kirche finanziert werden kann, das war für mich neu. Das heißt auch, dass die Rollen von Haupt- und Ehrenamtlichen anders gedacht werden. In Frankreich kann es gar nicht ohne Ehrenamtliche funktionieren. Das zeigt für mich, dass wir mehr tun müssen für die Unterstützung und Anerkennung von Ehrenamtlichen- Arbeit, z. B. auch konkret zeigen, wie und wo man sich engagieren kann. Viele Menschen wissen evtl. nicht, was sie machen könnten, da bisher alles von Kirchenvorstand, Pfarrern oder Sekretariat gemacht wurde. Weil die Ressourcen in Frankreich knapp sind, wollen die Menschen, die in der Kirche sind, auch mitwirken. Es gibt kaum passive Mitgliedschaften.
Welches Learning nimmst du aus dem IPOS mit in deine zukünftige Gemeindearbeit?
Ich nehme viel mit. Das Erste ist für mich, dass Kommunikation gut gepflegt werden sollte mit entsprechenden Werkzeugen, egal ob digital oder klassisch. Gute Kommunikation hilft, Konflikte zu verhindern, weil weniger Missverständnisse entstehen. Ich glaube, das ist im Gemeindealltag sehr wichtig. Nicht nur präventiv, sondern auch zu schauen, wo es Missverständnisse gibt und zu reagieren. Für die Arbeitsatmosphäre macht das einen großen Unterschied.
Als Zweites nehme ich die Gewissheit mit, dass man nicht allein ist. Es gibt viele Netzwerke, Hilfestellen, Dekanate, Ehrenamtsakademie und natürlich das IPOS. Dieses riesige Angebot wahrzunehmen, finde ich sehr hilfreich. Wenn ich Tipps, Beratung, Inspiration brauche, gibt es viele Angebote. Das ist ein riesiger Schatz.
Was ist für deine Generation (unter 30) an der Arbeit im IPOS besonders wichtig/spannend/interessant?
Auf den ersten Blick könnte ich nicht sagen, dass es einen großen Unterschied macht. Schon im Studium im ersten Semester war ich immer mit älteren Kollegen unterwegs. Das ist für mich etwas, das ich sehr schätze, wenn viele Generationen zusammen studieren und arbeiten können.
Natürlich merkt man Generationenunterschiede in der Denkweise, aber ich finde nicht, dass es so ist, wie man oft liest. Bezeichnungen mit engen Stereotypen finde ich eher schädlich. Ich glaube, man hat mehr gemeinsam als man denkt. Ich bin eigentlich froh, dass ich erfahrene Kollegen habe. Wenn man unter 30 ist und in Strukturen kommt, die man nicht gut kennt, ist es hilfreich Leute zu haben die mehr wissen.
Und trotzdem ist es eine schöne Herausforderung, mit allem, was man beobachtet und lernt, umzugehen und seinen eigenen Weg zu finden. Beispiel: Verhalten zur Arbeit und Arbeitszeit. Ich habe das Gefühl, dass meine Generation mehr drauf achtet, dass die Arbeitszeit nicht zu sehr überschritten wird und dass man sich ausgeglichen fühlt. Das ist eine Sache, die ich nicht unbedingt beim IPOS, aber bei anderen älteren Kollegen sehe. Das ist ein Unterschied. Da merke ich, diese Art ist nicht für mich. Ich sehe aber auch Gegenbeispiele. Das finde ich interessant.
Unser Oberthema in dieser Ausgabe ist Netzwerke - Was ist dein wichtigstes Netzwerk ?
Ein Netzwerk, das mich viel unterstützt und trägt, ist das der Vikar:innen. Wir haben eine gemeinsame Erfahrung und sind auch Kolleg:innen. Das ist eine große Stütze, dieses Stammnetzwerk zu haben, das sich immer mehr entwickelt. Da steckt auch eine Menge Vielfalt drin (Personen, Charakter, theologische Perspektiven,...). Die Vikariatszeit ist ziemlich lang, und für das Netzwerk ist das gut. Ich möchte dieses Netzwerk in Zukunft gerne pflegen.
Dein Lieblingsvers / Motto / Spruch?
Sprüche 16, 9: “Der Mensch erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr lenkt seine Schritte.”
Das inspiriert mich immer wieder. Ich mag die Idee, dass man selbst seinen Weg denkt und dass der Rest doch von Gott kommt. Sei es durch eine Bestätigung oder durch eine Umleitung oder durch was ganz anderes. Das finde ich sehr tröstend.
Dein Lieblingsort?
Wenn ich an Sommer denke, dann Strand an der Atlantikküste. Da komme ich her, und das vermisse ich auch ab und zu.
Im alltäglichen Kontext bin ich ein Fan von Cafés, egal wo. Das liebe ich sehr. Ich sitze auch gerne in Cafés zum Predigtschreiben, Gedankensammeln usw. Ich mag es, das Leben und die Menschen dort zu beobachten und passiver Teil davon zu sein.
Deine Buchempfehlung?
„Die Pastoralsymphonie" von André Gide.
Es geht um einen Pfarrer, der Ende des 19. Jahrhunderts eine blinde junge Frau (eine Waise) bei sich aufnimmt und sie unterrichten möchte. Er verliebt sich aber in sie. Das Buch beschreibt in einer wunderschönen Art, wie man Bibel falsch deuten kann und wie man vor sich selbst Dinge rechtfertigen kann, die eigentlich nicht zu rechtfertigen sind. Eine sehr erfrischende, poetische und auch tragische Liebesgeschichte.