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 Transformation & Emotion

 Wie Gefühle den Wandel beeinflussen





Bild: copyright Finn on unsplash.com


Veränderungen lösen Emotionen aus und gehen mit Phasen der Ungewissheit einher – das gilt besonders für die Transformation als die intensivste Form der Veränderung. Wenn die Emotionen aus der Veränderungssituation mit der Ungewissheit eines tiefgreifenden Umbauprozesses zusammenkommen, wirkt dies auf viele Menschen bedrohlich. Daher werden Emotionen in Veränderungsprozessen oft ausgeklammert. Statt die Ungewissheit, die Angst, die Wut oder die Trauer zum Thema zu machen, wird betont sachlich vorgegangen: Dann hebt die Leitung die Notwendigkeit der Veränderung hervor oder versucht, die Irrationalität der Ängste aufzuzeigen. 

 

Egal wie richtig diese sachlichen Argumente sind: die emotionale Situation wird sich durch sie nicht grundsätzlich verändern. Emotionen sind bei Veränderungen immer im Spiel. Wir können versuchen, ihren Einfluss zu begrenzen. Aber der Ansatz, sie ganz auszublenden, führt in der Regel dazu, dass die Emotionen im „Untergrund“ wirken und damit erst recht unkontrollierbar werden. 

 

Daher ist es für den Erfolg eines Veränderungsprozesses zentral, die durch ihn angestoßenen Emotionen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie aktiv in den Prozess zu integrieren. Das mag als Umweg erscheinen, führt in der Regel aber zu nachhaltigeren Ergebnissen. Und es eröffnet die Möglichkeit, nicht nur die als bedrohlich wahrgenommenen Emotionen in ihrer Wirkung zu begrenzen, sondern auch für die nach vorne gerichteten Dynamiken einen guten Platz im Prozess zu finden: Neugier, Vorfreude und Aufbruchsstimmung können wichtige Energielieferanten für die Veränderung sein. 

 

In unserer Beratungsarbeit begegnet uns der Zusammenhang von Veränderung und Emotion immer wieder auf neue Art. Das fast schon klassische Thema ist der Abschied von einem Gebäude. Vordergründig geht es da nur um Steine, aber die mit ihnen verbundenen Geschichten und Erlebnisse sorgen für eine starke emotionale Aufladung des Prozesses – ganz besonders bei einem Kirchengebäude. Weniger selbstverständlich ist das Bewusstsein, dass auch die Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten eine emotionale Hinterbühne hat. Im Lichte der Verwaltungslogik sind alle bereit, nach vernünftigen Lösungen zu suchen. Aber auch hier geht es um Menschen mit ihren eigenen Erlebnissen, ihren Beziehungen und ihrer Geschichte – von Zukunftssorgen ganz zu schweigen. Bleibt diese emotionale Dimension im Untergrund, fällt es auf der Sachebene unerwartet schwer, zu Lösungen zu kommen. 

 

In der Konfliktberatung begegnen uns immer wieder Fälle, in denen verdeckte Emotionen über lange Zeit als Konflikttreiber gewirkt haben. Dann besteht die Kunst darin, die Emotionen aus der Entstehungsphase des Konflikts besprechbar zu machen und gleichzeitig die destruktiven Emotionen der späteren Konfliktphasen in ihrer Wirkung zu begrenzen. Damit steigen die Chancen, auf der Sachebene zu neuen Lösungsansätzen zu kommen. 

 

In der Beratungsarbeit fällt uns auf, dass manche Emotionen leichter zu handhaben sind als andere. Eine besondere Herausforderung stellt vielfach der Ärger dar. Dieser erscheint durch seinen aggressiven Anteil manchen besonders bedrohlich und wird daher oft konsequent ausgeklammert. Gerade im sozialen und kirchlichen Bereich fehlt es an akzeptierten Formen, dem eigenen Ärger Ausdruck zu verleihen. Daher wird dieses Gefühl oft unterdrückt, wodurch ein trügerischer Eindruck von Harmonie entsteht, mit dem viel Energie blockiert wird – Energie, die für die Umsetzung der Veränderungen dann fehlt. 

 

Für die Planung und Durchführung von kleinen oder großen Veränderungsprozessen ist es wichtig, Emotion und Rationalität nicht als Gegensatzpaar zu verstehen. Bauch und Kopf müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Dann kann es gelingen, diese beiden Ebenen so zu kombinieren, dass sie sich gegenseitig ergänzen, statt in Konkurrenz zueinander zu treten. 

 

Dabei ist es ratsam, die Bearbeitung von Emotionen nicht als Selbstläufer zu verstehen. Gerade, wenn sich in einem Prozess schon viele Gefühle aufgestaut haben, birgt ein unbedarftes Vorgehen ein erhebliches Störpotential. Für einen konstruktive Umgang mit Emotionen ist es zentral, alle Beteiligten durch eine klare Struktur und eine deutliche Zielorientierung zu einer produktiven Arbeit an der emotionalen Dimension des Prozesses einzuladen. 

 

Eine besondere Funktion kann dabei der Einsatz von Ritualen übernehmen. Durch ihn ist es möglich, einen stabilisierenden Rahmen schaffen, der es erleichtert, Emotionen sichtbar und bearbeitbar zu machen. Damit werden die von einer Gefühlsdynamik ausgehenden Fliehkräfte begrenzt. Deshalb werden Rituale und Symbole in viele Transformationsprozesse eingeflochten – und das keineswegs nur im kirchlichen Kontext. Gleichwohl sind Rituale und andere Methoden für den Umgang mit Emotionen in Veränderungsprozessen kein schematisch anwendbares Rezeptwissen: Jeder Situation ist anders und jeder Mensch erlebt die Dynamik einer Transformation auf eine individuelle Art. Daher braucht jeder Veränderungsprozess ein eigenes Konzept für den Umgang mit Emotionen. Und während des Veränderungsprozesses gilt es, aufmerksam abzugleichen, ob das entwickelte Konzept noch zu den sich in der konkreten Situation zeigenden Dynamiken passt. 

 

Daraus ergeben sich mitunter anspruchsvolle Anforderungen an die Leitung und die ggf. hinzugezogenen externen Begleiter:innen. Leitung hat in Veränderungsprozessen eine wichtige Funktion, ganz besonders für die Frage, wie mit Emotionen umgegangen werden kann. Dabei ist die Anforderung weniger, mit Anweisungen über die Unsicherheit der Situation hinwegzutäuschen oder gar die Emotionalität sanktionieren zu wollen. Zentrale Aufgabe von Leitung ist es vielmehr, einen Rahmen für den Umgang mit Gefühlen aufzuzeigen und über die eigene Haltung und die eigenen Handlungsweisen Orientierung zu geben. All das setzt voraus, dass sich die Leitenden immer wieder ihre eigenen Gefühle bewusst machen und dabei sowohl für den Veränderungsprozess als auch bei sich selbst die Ebenen von Kopf und Bauch aufeinander beziehen. 

 

Dr. Christopher Scholtz


Dieser Artikel ist im Nachgang zum Studientag „Emotionen in der Transformation“ entstanden. Diese interne Fortbildung für die Berater:innen-Netzwerke des IPOS fand am 05. 12.2022 statt. Ich danke allen Kolleg:innen für die intensiven und anregenden Diskussionen sowohl in der Vorbereitung als auch bei der Durchführung des Studientags, und besonders Annerose Petry und Alexander Janka, auf deren Workshops ich mich in den Passagen zu den Verwaltungszusammenlegungen und zum Ärger direkt bezogen habe.  


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