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Sabbatjahr - Coronazeit

Gemeinsamkeiten und Unterschiede





Zwei evangelische Kirchengemeinden in der Wetterau wurden 2017/18 von uns bei der Vorbereitung und Durchführung ihres Sabbatjahrs begleitet. Im Angesicht der Pandemie erscheint uns diese Zeit in einem besonderen Licht. Daher wollen wir hier einen vergleichenden Blick auf das Sabbatjahr und die Coronazeit werfen. In einem ersten Schritt geht es um die Ursprünge des Sabbatjahres. Im zweiten Teil werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenübergestellt. Als drittes hören wir O-Töne von Mitgliedern der Kirchenvorstände und der Pfarrerinnen. Und schließlich möchten wir erste Schlüsse für das Handeln in solchen Veränderungssituationen ziehen. 


Der Sabbat selbst ist biblischen Ursprungs. Demnach wurde die Welt von Gott in sechs Tagen geschaffen. Am siebenten Tag war die Schöpfung vollendet, Gott ruhte an diesem Tag und segnete diesen Tag (Gen 1,1-2,4a). Das Sabbatgebot entfaltete innerhalb des Judentums eine breite Wirkungsgeschichte. In Analogie zum Sabbat als Ruhetag entstand das Sabbatjahr. Ganz gleich ob Sabbat oder Sabbatjahr, der Sinn des siebenten Tages oder Jahres ist, nicht das Letzte herauszuholen. Die Idee dabei ist, frei von Zwängen hin zu einem Leben in Fülle zu finden. 

Neuzeitlich hat sich in der Arbeitswelt eine sogenannte Sabbatzeit oder ein Sabbatical etabliert. Eine mehrmonatige Auszeit, die dazu dienen soll, neue Kräfte zu sammeln und die Gelegenheit zur Neuorientierung bietet. 


2017 waren zwei Kirchengemeinden mit dem Wunsch ans IPOS herangetreten, auf dem Weg in und durch das Sabbatjahr beraterisch begleitet zu werden. Die Beraterteams mussten sich selbst zuerst eine Arbeitsthese aufstellen, um einen Beratungsansatz zu schaffen. Die These lautet: 

Das Sabbatjahr ist eine besondere Zeit, in der die Gemeinde innehält, wahrnimmt und Klarheit gewinnt:

Wer sind wir? Was machen wir? In Leerräume hinein kann Gottes Geist wirken. 


Vor diesem Hintergrund wendet sich jetzt der Blick auf die aktuellen Herausforderungen für die Kirchengemeinden in der Coronapandemie. Stichpunktartig werden einzelne Aspekte gegenübergestellt, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Sie laden eher dazu ein, selbst weitere Parallelen und Unterschiede hinzuzufügen. 

Sabbatjahr


  • selbstgewählte Auszeit


  • Akzeptanz in der Gemeinde durch die selbstgewählte Veränderung ist schwieriger


  • klar definierter Zeitraum



  • Begriff erzeugt positive Resonanz



  • eigenes Motto als Gestaltungselement


  • lange Vorbereitungsphase


  • Ausbrechen aus der alltäglichen Geschäftigkeit, um dem näher zu kommen, was wichtig ist. Konzentration auf den Auftrag als Gemeinde


  • In der Durchführung Neues, Anderes träumen, planen, gestalten, entwickeln, umsetzen …



  • Gemeinde neu erleben unter dem Gesichtspunkt:

         Was ist schon da?

         Was lassen wir?

         Was machen wir anders?

         Was machen wir weniger? 



  • Kraftmomente und Meilensteine des Sabbatjahres werden (gemeinschaftlich) gefeiert



  • Reduzierung des Gemeindeangebotes schafft Freiraum, um neue Veranstaltungsformen auszuprobieren


  • Abstand tut gut


  • Digitalisierung nicht nennenswert



  • Kooperation/Vernetzung im Blick





  • Generationenübergreifendes Gemeindeleben

Coronazeit


  • verordnete Auszeit


  • Akzeptanz der notwendigen und auferlegten Veränderungsschritte ist leichter


  • offenes Ende, stufenweise Öffnungs- und Schließungsbewegungen


  • Erfahrung der Einschränkung und Gefährdung mit gelegentlichen Lichtblicken


  • Sinnfrage wird neu aufgeworfen


  • quasi „über Nacht“ 


  • Die Sinnstruktur der alltäglichen Geschäftigkeit bricht plötzlich für Pfarrerinnen/Pfarrer, Kirchenvorstände, Gemeindemitglieder weg


  • Kurzfristiges Agieren auf neue Verordnungen der Bundesregierung und der Kirchenleitung; Zwang zum Planen und Umsetzen


  • „Vollbremsung“ Gemeindeleben unter dem Gesichtspunkt:

         Was ist noch erlaubt/möglich?

         Was können wir (als KV) noch verantworten?

         Welche Gefühle tauchen auf?

         Was geht anders, digital, muss abgesagt werden? 


  • Schwierigkeit der gemeinschaftlichen Zusammenkünfte in Präsenz, Gefahr der Vereinzelung und Privatisierung 


  • verstärktes Ausprobieren von digitalen und „coronakonformen“ Veranstaltungsformaten 



  • Wunsch nach konkreten Begegnungen entsteht


  • Schwerpunkt auf Aufbau, Umgang mit Digitalisierung


  • Schwierigkeit der spontanen, ungeplanten Begegnung, die Vernetzung und Kooperation erleichtern könnte


  • Verschiebung des Herrschaftswissens der „Alten“ durch die Digitalisierung



Hier einige Zitate von Kirchenvorständen und den Pfarrerinnen aus den Gemeinden mit dem Sabbatjahr, die wir im Gespräch um einen Blick auf die beiden Phänomene gebeten hatten: 


„Sabbatjahr und Coronazeit sind beide grundsätzlich sehr ähnlich.“


„Nicht Sparversion, sondern etwas Schönes, Neues! Nicht vom Mangel her denken, sondern von der Fülle!“


„Coronazeit und Sabbatjahr machen nicht weniger Arbeit. Es geht um Umgewichtung!“


„Corona saugt real Kräfte ab.“


„Freude am Ausprobieren und Experimentieren.“


„Anstrengender, weil keine Routinen mehr greifen.“


„KV Arbeit noch zeitaufwändiger.“


Eine wesentliche Gemeinsamkeit von Sabbatjahr und Corona-Pandemie ist die Ausprägung einer Sondersituation. In Sondersituationen treten die Schwierigkeiten und Herausforderungen deutlicher hervor, die auch schon vorher in den Gemeinden zu beobachten waren. Diese besonderen Zeiten, die vom Gewohnten abweichen, wirken wie ein Katalysator. 


Deutlich wird in beiden Fällen, wie voll das Gemeindeleben zu „normalen“ Zeiten war. Bis zur Unterbrechung der ersten Shutdowns summierten sich häufig neue Gemeindeveranstaltungen zu den bisherigen dazu, ohne alte Formate aufzugeben. Die heilsame bzw. erzwungene Unterbrechung offenbart, wie viel aufrechterhalten wurde, obwohl nur noch wenig oder gar keine Nachfrage mehr bestand. 


Während die Kirchengemeinden im Sabbatjahr eine bewusste Konzentration auf den Auftrag als Kirche vor Ort suchten, die neue unmittelbare Begegnungsformen miteinschloss, bedeutet Corona für die (westdeutschen) Kirchen und Gemeinden im ersten Moment einen dramatischen Relevanzverlust in der Wahrnehmung der Gesellschaft und der Menschen. Gleichzeitig hat die Digitalisierung die Möglichkeit für ein neues Miteinander im Gemeindeleben geschaffen, sowohl in der Gremienarbeit als auch in Veranstaltungsformaten. 


An beiden Phänomenen gemeinsam wird deutlich, dass Veränderungsprozesse in der Regel nicht von allein entstehen, sondern entweder – wie beim Sabbatjahr – eine bewusste Entscheidung oder – wie bei Corona – einen Impuls von außen benötigen. 



Elisabeth Buddeus-Steiff, Stephan Ebelt


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