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Erschöpfte Menschen in Kindertagesstätten





Prof. Dr. Nikolaus Meyer von der Fachhochschule Fulda, Bereich Sozialwesen, hat die Auswirkungen der veränderten Arbeitsbedingungen auf die pädagogischen Fachkräfte untersucht. 


Das Ergebnis der Studie macht deutlich, dass die veränderten Arbeitsbedingungen sich in den Beratungsprozessen wie Supervision und Coaching spiegeln. In diesen Zeiten sind wir als Supervisor*innen ganz besonders gefordert, die pädagogischen Fachkräfte zu begleiten. Die Supervisand*innen haben ein großes Bedürfnis nach Beziehung und Begleitung, denn sie sind durch das pandemische Geschehen verunsichert und instabil in ihrem Tun. 


Die Aussagen der Studie will ich anhand einer Kita belegen, die ich seit 2 Jahren supervisorisch begleite - ein Haus mit 30 Fachkräften im U3 und Ü3 Bereich mit etwa 100 Kindern. 

Ein bislang mehr oder weniger gut funktionierendes System der Kinderbetreuung (Erzieher*innenmangel war schon vor der Pandemie eine große Herausforderung) ist ähnlich geprägt wie das der Beratung. Menschen, die in Kindertagesstätten arbeiten, arbeiten im Wesentlichen in drei Kontexten: Beziehung, Handlung, Kommunikation.

 

Das Haus war ein Ort, an dem Eltern, Großeltern, Verwandte willkommen waren. Es fanden viele Tür-und-Angel-Gespräche statt. Die Begebenheiten des Tages wurden den Abholer*innen geschildert. Das Haus pulsierte. Die Kinder waren unterwegs und hatten viele Räume und einen großen Garten zum Erobern. Vor der Pandemie waren die Beziehung und Kommunikation umfassender, das Miteinander im Team und zwischen den Eltern nahm einen großen Platz ein. Derzeit ist die gewachsene Beziehung zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft sowie Eltern und pädagogischer Fachkraft auf eine harte Probe gestellt. Auch vor der Pandemie gab es herausfordernde Situationen, aber im Großen und Ganzen ein gutes Miteinander. 

 

Nun besteht die Gefahr von Beziehungsabbrüchen, die durch einen Lockdown oder durch Quarantänebestimmungen versursacht werden. Dies geschieht häufig unvorhergesehen und plötzlich. In solchen Situationen stehen die pädagogischen Fachkräfte vor bislang unbekannten Herausforderungen, die rasch und situationsgerecht bearbeitet werden müssen. Ihre Beziehungen zu Eltern, Kindern und der eigenen Institution definieren sich neu. Die Unplanbarkeit auszuhalten und gleichzeitig Sicherheit und Verlässlichkeit zu vermitteln, fällt den pädagogischen Fachkräften schwer. 


Die Handlung bzw. das tragfähige System hat sich ebenso verändert. Die Eltern waren es gewohnt, ihre Kinder morgens zu bringen und nachmittags abzuholen. Dieses System ist instabil geworden, weil Eltern jederzeit ein Anruf erhalten können, dass die Kita geschlossen werden muss. Die Eltern fühlen sich allein gelassen, und sie wissen nicht mehr, wie sie die Belastung von Beruf und Betreuung stemmen sollen. Die elterlichen Reserven sind aufgebraucht. Der Krisenmodus ist ein ständiger Begleiter, der Unmut steigt, vermehrte aggressive Unmutsäußerungen sind die Folge. Die Eltern dürfen das Haus nicht mehr betreten und bekommen ihre Kinder an die Gartentür gebracht. Bedingt durch das Tragen der Masken gibt es oft Situationen, in denen weder die Erzieher*innen wissen, wer vor ihnen steht, noch die Eltern. Tür-und-Angel-Gespräche sind weniger geworden, und auch das kurze Gespräch beim Abholen fällt weg. Diese Bring- und Abholkommunikation war im pädagogischen Alltag oft eine wichtige Quelle gegenseitiger Information. 

 

Die Kommunikation innerhalb des Teams und mit den Eltern hat sich verändert. Die vertrauten Riten (Mimik, Gestik, nonverbale Ausdrucksweisen) können zum großen Teil nicht wahrgenommen werden. Wenn die Erzieher*innen den Eltern die schlechte Nachricht der wiederholten Schließung transportieren müssen, wissen sie oft nicht mehr, wie dies angemessen ausgedrückt werden kann. Die tragfähige gruppenübergreifende Arbeitsbeziehung und der Austausch untereinander, um Belastungen aus- und anzusprechen, fällt weg. Kommunikation findet anders als gewohnt statt. Vieles läuft über Medien wie Smartphone oder Internet. Das Wir-Gefühl - wir sind ein Team - wird als Verlust erlebt. Die Mitarbeiter*innen erleben die Teamsitzungen in digitalen Meetings als Einbahnstraße. Lange virtuelle Sitzungen sind ungewohnt und werden von vielen der Teilnehmenden als erschöpfend empfunden. 

 

Die Mitarbeiter*innen arbeiten in festen Tandems, damit wird verhindert, dass die Kinder und die Pädagog*innen sich mischen. Dadurch verdichtet sich der Blick nach innen, der Blick auf andere Gruppen im Haus ist eingeschränkt. Wichtigkeit haben die gruppeninternen pädagogischen Handlungen und nicht mehr die Auswirkungen auf das ganze Haus. Hier als Beispiel die Morgenkreisgestaltung, Eingewöhnungsrituale, etc. Die ständigen Ermahnungen zum Einhalten der Regeln, die Maßgaben der Desinfektionsregeln sind permanenter Begleiter, dies wird als zusätzliche Belastung in den Interaktionen geschildert. Das schlechte Gewissen plagt, wenn die Fachkraft das Desinfizieren (2 x täglich) versäumt hat, weil dies aus Zeitnot und Personalmangel nicht geschafft wurde, es aber gemacht werden muss.


Die nun schon ein Jahr andauernde Pandemie, ohne konkrete Aussichten auf ein Ende, lässt die Erschöpfung in allen Lebensbereichen ansteigen. Ängste wachsen bei Mitarbeitenden, Kindern und Eltern. 


 „Die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit werden zerrieben zwischen den eigenen Qualitätsansprüchen und den Vorgaben von außen, die weitgehend nicht den professionellen Standards entsprechen. Diese Diskrepanz versuchen die Beschäftigten zum Wohl der Adressat*innen durch hohes persönliches Engagement auszugleichen. Jetzt sehen wir: Die Kräfte der Beschäftigten neigen sich dem Ende.“ (Studie „SOZIALE ARBEIT MACHT GESELLSCHAFT“ von Prof. Dr. Nikolaus Meyer) 


Was kann nun Supervision in diesen unsicheren Zeiten bieten? 


Viel Raum für das Bedürfnis, sich mitzuteilen, von den eigenen Sorgen und Ängsten zu berichten und andere daran teilhaben zu lassen. Gleichzeitig die Sensibilität zu entwickeln, um die Sorgen und Ängste der Kolleg*innen verstehen zu können. Die Supervisiorin / der Supervisor bietet dafür mit klarer und empathischer Grundhaltung einen geschützten Raum. Hypothesen können mit der Wirklichkeit abgeglichen werden, Einstellungen und Haltungen gegenüber der Arbeitssituation und den Kolleg*innen können verändert werden. 

 

Jede Veränderung lässt das System kurz wackeln und nach einer Phase der vermeintlichen Instabilität ein neues Verständnis vom Neuen erlangen, bis sich dieses wiederum gewohnt und stabil anfühlt.

Das derzeitige Gefüge wackelt, und die Supervision bietet eine Möglichkeit, das Wackeln zu begleiten, um zu neuer Stabilität zu kommen und damit Sicherheit zu gewinnen. 


Daniela Gärtner, Studienleitung Fachstelle Supervision 


Studie „SOZIALE ARBEIT MACHT GESELLSCHAFT“ Rahmenbedingungen der Studie. Die Studie „SOZIALE ARBEIT MACHT GESELLSCHAFT“ ist die zweite Erhebung der Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Die erste Erhebung im April 2020 zeigte Veränderungen in professionellen Handlungsweisen und sich verschärfende Arbeitsbedingungen. Die meisten Einrichtungen der Sozialen Arbeit sind geöffnet (89,8 %) anders als im ersten Lockdown (59,3 %). Zusätzlich zu einer hohen Öffnungsquote der Einrichtungen Sozialer Arbeit steigt auch die Nachfrage, was zu einer höheren Arbeitsbelastung führt. Betrachtet man alle Befragten, zeigt sich, dass die Arbeitsverdichtung in der Pandemie zunimmt und sich Arbeitsabläufe vollständig verändern (88,6 %): Die verbliebenen Beschäftigten müssen zusätzlich die Aufgaben von jenen Kolleg*innen übernehmen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder wegen einer tatsächlichen Erkrankung nicht anwesend sind. Arbeitsmodus und Folgen für Adressat*innen Publikation Meyer, N. & Alsago, E. (2021). Soziale Arbeit in der Corona-Pandemie: Arbeiten am Limit? Ein empirischer Beitrag zur Lage der Beschäftigten aus professionstheoretischer Perspektive. Sozial Extra, in Begutachtung/peer review. Kontakt: Prof. Dr. Nikolaus Meyer (nikolaus.meyer@sw.hs-fulda.de oder 0176 240 918 50). 

 


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